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Gemeindehaus und St. Christophorus Kirche



Die Entwicklung der Bauerschaft Raestrups unterlag zu keiner Zeit einem „Gesamtplan“, indem Strukturen, Soziökonomie, Wirtschaft und Kultur zusammenhängend und aufeinander abgestimmt zu einem zentral ausgerichteten Siedlungsgebilde führten. Grundlage für Besiedlung und Infrastruktur ist die über das Gebiet verteilte Landwirtschaft.


Woher kommt der Name „Raestrup“?


Raestrup (wie –torpe und „Drubbel“: aus Einzel- und Doppelhofsiedlungen durch Hofteilung und Zusiedlung entstanden); diese Endung von Ortsnamen ist im Münsterland verbreitet.

Raestrup (mit Dehnungs-e wahrscheinlich ab dem 17. Jhdt.)

Rastorpe (um 1500 n. Chr.)

Radistharpa Azlin (11. Jhdt. n. Chr.)


In der jüngeren Geschichte gehörte Raestrup mit den Bauerschaften Berdel, Schwienhorst, Vechtrup und Verth zur selbständigen Gemeinde „Kirchspiel Telgte“ (bisweilen auch „Landgemeinde Telgte“ genannt). 1968 wurde das Kirchspiel Telgte in die Stadt Telgte eingemeindet. Seit der Kreisreform 1975 ist Telgte im Kreis Warendorf eingegliedert. (zuvor: Münster).  



Stadt und Kirchspiel Telgte im 19. Jahrhundert





Spuren mittel- und jungsteinzeitlicher Besiedlung sind das Älteste, was wir von Raestrup wissen: An der Ems konnten bei Bauarbeiten zwei typische sächsische Grubenhäuser identifiziert werden.   [1]



   

An Ems und Lippe wohnte zurzeit um Christi Geburt der germanische Stamm der Brukterer. Sie waren ein Bauernvolk, das den Boden bewirtschaftete, Getreide anbaute und Viehherden hielt. Ein schon aus der vorrömischen Zeit stammender Urweg verlief durch die Bauerschaft Radistharpa und strebte der nördlichen Uferstraße der Ems zu.





  Mit der Christianisierung im Münsterland und der Schaffung des Bistums Münster (805 n. Chr.) war das Kloster Freckenhorst für die Bevölkerung in Raestrup bestimmend, insbesondere wegen der Abgaben, die die Höfe in der Umgebung zu leisten hatten. 


Aus dem Heberegister des Klosters wissen wir, dass es schon im Mittelalter den Hof und die gleichnamige Familie „Radestorpe“ (heute: Tyrell) gab. Wie den Ortschaften und Höfen im ganzen heutigen Kreis Warendorf wurde im dreißig jährigen Krieg dem Gut Raestrup durch plündernde Truppen verschiedener Heere übelst mitgespielt: Um 1638 wurden dem Gut 47 Pferde geraubt und oft fünf bis sechs Kühe auf einmal geschlachtet.     [2] 

 





 Ein weiterer historischer Hof, der damals zur „Burschap von Lakestyn“ gehörte, die im 16. Jhdt. aufgelöst und in die Bauerschaften Raestrup und Müssingen aufging, war schon im 14. Jhdt. als Hof Wiggering, später als Hof Wiggerman bekannt. Heute heißt der Hof Haus Lohfeld (an der K19 gelegen). (3) Es ist für Raestrup auch deshalb bedeutend, weil mit der Eröffnung des Bahnhofs „Raestrup-Everswinkel“ 1887 durch Grundstücksver-käufe aus dem Besitz Lohfeld rund um den Bahnhof die Ursprünge derheutigen Raestruper Bahnhofssiedlung entstand, die bis 1948 elf Wohnhäusern zählte. 








 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entschlossen sich die Raestruper eine eigene Kirche zu bauen. Aber erst nach dem 1. Weltkrieg gründeten sie einen Kapellenbauverein und unter hoher Opferbereitschaft versprachen die Einwohner Geld, Sach- und Dienstleistungen. Die Kirche hätte nahe dem Bahnhof mit einer Klosterniederlassung entstehen sollen. Der Pfarrer von Telgte unterstützte die Raestruper, doch der Bischof in Münster erteilte keine Genehmigung. 


Es folgten die Zeit der Hyperinflation ab 1923 (die alles Ersparte zunichtemachte) und später die Zeit der Nationalsozialisten, die jeden Kirchenbau verboten. 


Erst aus der verzweifelten und gefährlichen Lage Ende 1944 (2. Weltkrieg) heraus erlaubte Bischof Clemens-August Graf von Galen den Raestrupern ab dem 1. Advent 1944 das Feiern der Eucharistie in der großen Bauernküche des Hofes Rusche. Nach dem Krieg erleichterte die aus der Notsituation gegebene Erlaubnis die Schaffung einer eigenen Kirche in Raestrup.




 Ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhielt Raestrup eine eigene Schule, die Telgter Schule war überfüllt. „Obwohl die Raestruper Bürger dem Plan zum Bau der Schule gänzlich abgeneigt waren, wurde noch im gleichen Jahr (Anm.: 1904) mit dem Schulneubau begonnen.“     [4] Der Landwirt Johann Renfert stellte das Grundstück zur Verfügung.


1905 fand die Eröffnung statt, 1970 wurde die Schule geschlossen. In den Jahren 1944 bis 1948 mussten 91 Kinder in einem Klassenraum unterrichtet werden. Im letzten Kriegsjahr wurden wegen der Kriegsereignisse die Klassen auf die umliegenden Höfe verteilt.




  

Seit 1993 gehört das alte Schulhaus mit einem erweiterten Gebäudeteil der „Jugendhilfe Raestrup e.V.“ Das Ehepaar Quenkert lebt dort in Hausgemeinschaft mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihnen anvertraut werden.





Gleich nach Kriegsende organisierten der Kapellenbauverein und Kaplan Paul Halbe aus Telgte mit Hilfe der britischen Armee eine Baracke des ehemaligen Reichsarbeitsdienstes, die dann in Raestrup als erste „Notkapelle“ im Bistum Münster errichtet wurde.  Bauer Rusche hatte das  Grundstück dafür zur Verfügung gestellt und fast alle Raestruper beteiligten sich durch Sach- und Geldspenden sowie Arbeitsleistungen am Bau. So konnte dann mit bischöflicher Erlaubnis am 12. August 1945 die Kapelle „St. Sebastianin der Wiese“ eingeweiht werden. (5) In Raestrup lebten zum Ende des Krieges und danach sehr viele Evakuierte aus ausgebombten Städten und Ortsvertriebene, die in jeder Familie Aufnahme fanden.  






Mit der neuen Kapelle entstand die bis heute anhaltende, freundschaftliche und Früchte tragende Verbindung zum Borromäum in Münster, das zur Entlastung der Telgter Pfarrei St. Clemens mehr und mehr bis heute die sonn- und feiertägliche Seelsorge Raestrups übernommen hat. Bis zur Einweihung der St. Christophorus Kraftfahrerkapelle in 1964 diente „St. Sebastian“ den Raestrupern und Gläubigen aus der Umgebung als Kirche. Danach pachtete die Raestruper Schützengilde 1931 e.V. die ehemalige Reichsarbeitsbaracke, allerdings läuft die Pachtzeit in wenigen Jahren unwiderruflich aus.






Westfälische Nachrichten vom 14.11.1957 



1957 nahm der Kapellenbauverein seine Arbeit wieder auf: Es war zu befürchten, dass die Lebensdauer der St. Sebastian-Kapelle nur noch begrenzt sei. Im Vorstand des Vereins saßen nicht nur Raestruper: Vikar Johannes Askemper aus Telgte und der Repetent im Borromäum, Bernhard Fraling, gehörten dem Gremium als Geistliche Beiräte ebenfalls an.


Als der Kapellen-Bauverein 1957 seine Arbeit wieder aufnahm, wurde zum selben Zeitpunkt der Raestruper Kirchenchor gegründet, der bis heute an besonderen Festtagen und zu besonderen Anlässen auftritt.


Um die Baugenehmigung wurde heftig gerungen, aber schließlich erteilten die zivilen und kirchlichen Stellen Ende 1960 die Baugenehmigung einer katholischen Kirche in Raestrup. Mit dem Bau der Kirche war ihre Bestimmung verbunden als Kraftfahrerkapelle der Verkehrstoten und im Verkehr Verletzten zu gedenken. Mit dem Wiederaufbau und dem wachsenden Wohlstand in Deutschland stieg die Zahl der Straßenfahrzeuge stark an, aber auch die der Verkehrsunfälle.


Die Kapelle wurde nach Plänen des früheren Diözesanbaumeisters im Bistum Essen, Eberhard Kleffner und seiner Ehefrau Christa, die auch die örtliche Bauleitung übernommen hatte, errichtet. Zu der zeltförmigen Konstruktion inspirierte das Dach über dem Altar des Eucharistischen Weltkongresses in München von 1960.


 



Raestruper Kraftfahrer-Kapelle St. Christophorus (Foto: Alfred Bolle, 2020)

 

Die zu finanzierenden Baukosten der „Kraftfahrerkirche St. Christophorus wurden damals mit nur 380.000 DM (153.388 €) veranschlagt!  Der Anteil der Sach- und Geldspenden war außerordentlich hoch: Es waren vor allem die Raestruper Familien, die die Mittel aufbrachten, aber Geld kam auch von Firmen und Autofahrern, die von dem Vorhaben hörten. Schließlch arbeiteten die Bewohner der umliegenden Siedlungen und Gehöfte immer wieder am Bau mit. Mit Fug und Recht können die Raestruper sagen, dass sie sich ihre Kapelle selbst errichtet haben.


 Am 10.12.1961 (2. Adventssonntag) wurde der Grundstein für die Kraftfahrerkapelle durch Domkapitular und Prälat Reinhold Friedrichs gesetzt. 


Am 8.12.1963 (2. Adventssonntag) wurde die fertiggestellte Turmkapelle mit dem Bildnis der schmerzhaften Gottesmutter in Raestrup eingesegnet und als Gedenkstätte für die Opfer des Straßenverkehrs der Öffentlichkeit übergeben. Am selben Tag fand die erste Fahrzeugsegnung statt.


Die Pietá kommt aus der Schweiz, ihr Alter ist unbestimmt und wurde gestiftet.


Die festliche Einweihung der Kapelle erfolgte am 10. Mai 1964.


 Am 25. Mai 2014 feierten die Raestruper und Telgter mit dem Münsteraner Bischof Dr. Felix Genn feierlich das 50-jährige Bestehen der Kapelle.


 



Bischof Dr. Felix Genn und der seit 2001 engagierte Raestruper „Sonntagspastor“ Domvikar und 

Spiritual am Borromäum Dr. Michael Höffner, am 24. Mai 2014 (Foto Werner Hartmann)  

 



 Der 7.10.2013 kann nachträglich als ein weiterer Meilenstein des Aufbruchs für Raestrup betrachtet werden: Seit seiner Gründung probte der Kirchenchor in der Gaststätte „Raestruper Hof“. Das war nunmehr nicht weiter möglich und dem Chor fehlt seitdem ein Übungsraum. Auch andere Raestruper beklagten, dass sie für ihre Aktionen und Feiern kein gemeinsames „Dach“ haben, unter dem sie sich treffen können. Außerdem sollte der frühere Bahnhof „Raestrup-Everswinkel“ als Bahnhaltepunkt geschlossen werden. Das geschah tatsächlich im Dezember 2016 mit der Eröffnungdes Haltepunkts Müssingen! So kam es im Januar 2015 zur Gründung des gemeinnützigen Vereins „Raestruper Gemeindehaus E. V. “. Er wird von Bürgern aus Raestrup und der Nachbarschaft getragen und ist schnell zum anerkannten Sprachrohr der Raestruper gegenüber Politik und Behörden geworden. Seine Satzungszwecke sind Heimatpflege, Tradition und bürgerliches Engagement. Um diese Zwecke bestmöglich umzusetzen, plant der Verein ein Dorfgemeinschaftshaus. Gemeinsam mit der Stadt Telgte wurde 2017 ein Dorfinnenentwicklungskonzept (DIEK) erstellt, aus dem eine Vielzahl Projektideen für Raestrup entstanden sind. Die bisher durchgeschlagensten Ergebnisse sind, dass die Bahnhofssiedlung Ortsteil von Telgte wird (bislang Außenbereich), Baugrundstücke für junge Raestruper Familien bewilligt werden können und der „Raestruper Gemeindehaus e.V.“ zweckgebunden ein Dorfgemeinschaftshaus auf einem Grundstück neben der Kapelle bauen darf. 

 





Das Vereinslogo symbolisiert (gelb) die Kapelle mit dem Arkadenhof 

zwischen Turm und Kirche und (grün) das geplante Dorfgemeinschaftshaus.





Quellenangabe:
 
 

  [1] Quelle: Karl-Wilhelm Bornemann (Hg.) in „Kraftfahrerkapelle St. Christophorus Telgte-Raestrup“, Dialogverlag Münster, 2004

   

  [2] Quelle: Karl-Wilhelm Bornemann, „Dem Gut Raestrup wurden 47 Pferde geraubt“, in:Jahrbuch des Kreises Warendorf, 1998

   

    [3] Quelle: Fred Kaspar, „Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774, Haus Lohfeld“, in: Güter, Pachthöfeund Sommersitze; bearb. [Hrsg.: Stefan Winghart ...]. Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege; 2014

   

  [4] & [5] Quelle: Karl-Wilhelm Bornemann (Hg.) in „Kraftfahrerkapelle St. Christophorus Telgte-Raestrup“, Dialogverlag Münster, 2004